Das Land aus dem ich komme, es ist ein Land des Lichts. Des Lichts in der Dunkelheit, in sie hinein. Ein Land der Geborgenheit im Verborgenen. Es ist warm und weich und geschmeidig, es schmiegt sich anschmiegsam an. Es gibt Widerstand und lässt Raum zum Schweben in einem schwerelos scheinenden Raum und Sein. Es ist ein Durchgangsort, sozusagen ein Umstiegsbahnhof auf der Lebensreise. Eine Zeit lang eine Lebensweise. Es heißt mich schon einmal willkommen und schwemmt mich dann auf einmal aus und lässt mich weiterfließen. Durch einen Tunnel, so heißt es, geht der Mensch in das Licht ein an seinem Ende. Sie nennen es den Tod. Durch einen Tunnel trat ich ein in das Licht der Welt an seinem Ende. Sie nennen es das Leben, diese Welt. Sie sei mein Zielort, diese Fremde. Meine neue Heimat, sagt man mir. Und glaubt dabei noch nicht einmal, dass ich diesen Satz oder die Bedeutung irgendeines Wortes verstehen könne. Sie sei meine Heimat, diese Fremde, die sich mir entzieht und mich nicht ganz erkennen mag. Dabei heißt sie mich längst nicht so warm willkommen, wie einst meine Zwischenwelt. In ihr war es noch warm und da war Halt. Ausgeliefert bin ich meiner Welt hier und jetzt. Haltlos wirft sie mich in die Kühle, in die Zugluft. Mein Körper ist schutz- und hüllenlos geworden und die verletzbar brachliegende Haut wird neu umhüllt, provisorisch eingeschlagen. Die Wärme ist jetzt mal da und mal nicht. Der Halt mal da und mal nicht. Haltlos fliegen die Glieder von mir weg und sind ihrer Grenzen beraubt. Sie gehen verloren im Universum, in der Weite. Es ist wie dieses Gefühl, plötzlich aus der Welt zu fallen, in die Weite der Leere, ins Nichts. Manche träumen davon und erwachen davon. Es lässt sie aus dem Schlaf fallen. Einst war es warm und es war Halt. Jetzt hält mich die Schwere schwer am Boden. Der Kopf ist kaum mehr zu heben, kein Überschlag mehr möglich. Ich bin plötzlich fast bewegungslos, bewegungsunfähig. Meine Welt bewegt mich. Die Anderen bewegen mich, meine Arme, meine Beine, meinen Kopf. Es dreht mich, es hebt und senkt mich, es hüllt mich ein und gibt mich der kühlen Lufthülle wieder preis. Es bewegt mich. Es lebt mich, könnte man sagen, wenn Leben als Wesen, die sich bewegen festgehalten werden im Gedächtnis der Welt.
Und diese Welt, sie scheint selbst ihrem Gedächtnis entfallen zu sein für mein Erscheinen. Die Welt ist bei meiner Ankunft nur in der Nähe schon ganz da, scharf gezeichnet für mich. Der Rest verschwimmt, im Einerleibrei der Farbblässe ununterscheidbar. Als hätte die Malerin zu spät von meiner Ankunft erfahren und nur schnell das allernötigste und nächste fertigstellen können. Als brauche sie jetzt erst einmal Zeit den Rest der Welt in ihrer Filigranz zu detaillieren. Ein bisschen unverschämt eigentlich, mir eine solche Welt vorzuführen, die noch nicht ganz geboren ist. Ein Provisorium als Einstiegsgeschenk. Aber bald schon wird sie klarer, und es weitet sich der Blick in die kleine, weite Höhle, die mein Sein umgrenzt. An ihrem Himmel schaukeln im Kerzenatem Sterne. Unzählige bunte Sterne. Sie scheinen fast zum Greifen nah, die Sterne. An dem weißen Himmel mit den roten Fäden hängen sie angeknüpft, bei Tag und bei Nacht. Bald sichtbar und auch unsichtbar sind sie da, lassen sich erfühlen und erahnen. So hängen sie, die Sterne, an den roten Fäden, auf dem weißen Grund. Fast so, als könne man sie, ja als müsse man sie berühren, sie ergreifen, sich von ihnen ergreifen lassen. Das Auge kann sie berühren, die Hände dagegen können es seltsamerweise nicht. Die Nähe der Distanz wird zur Kluft der Unverfügbarkeit. Unverfügbar, das ist meine Welt. Sie ist für die Anderen. Die Anderen gehen durch die Welt, die ihnen wohl ein zu Hause ist. Sie können auf sie zugreifen. Ich lebe in der Unverfügbarkeit einer Welt, der ich mich öffnen will, und die sich mir bei jeder Annäherung zu verschließen scheint. Ich bin fremd in der Welt, deren Verbundenheit mit den Anderen mich trennt von ihr und von den Anderen. „Greif nach der Welt!“, so sagen die Anderen. Ich möchte ja greifen nach der Welt, wie sie es wünschen. Sie begreifen es nicht, wie sehr ich schon greife. Die Anderen greifen mich locker mit einer Hand und tragen mich fort von dem, was ich greife. Die Anderen sind groß und bewegen sich unglaublich schnell und elegant. Ich liege. Auf dem Rücken. Auf dem Bauch. Manchmal fliege ich mit den Anderen, und manchmal döse ich stundenlang vor mich hin auf der Stelle. Ganz nach Belieben. Ihrem Belieben. So wie es die Anderen wollen oder lassen. Ich ringe um jeden Zentimeter, der den Anderen zu Füßen liegt und über den sie fast fließen mit ihren Füßen. Ihren eigenen Füßen. Mir sind nicht mal die eigenen Füße besonders zu eigen. Und die Welt? Es heißt, ich eigne mir die Welt an. Aber erst einmal entzieht sie sich mir und wird sie mir von den Anderen entzogen, die sich mich aneignen und es sich zu eigen machen, mir ihre Welt zu zeigen. Das ist ihr Versprechen.
Ich spreche zu der Welt. Und sie spricht zu mir. Wir haben uns viel zu sagen, aber meistens sagt es uns nicht viel, was wir einander sagen. Die Anderen sagen, was ich sage sei kein sagen. Die Anderen sagen, was sie sagen könne mir nichts sagen. Für mich sei alle Sprache nichtssagend. Nur der Klang. Er ist vielsagend und verbindend, das ist fast allen klar. Worte sind der Schein, der Klang er spricht im kommunikativen Einklang, aus der Seele in die Seele. Der Klang baut Brücken von der Fremde zu mir und von mir in meine Heimat. Die Seele und das Herz, das mag die Brücke tragen. Meine Wünsche bringen diese aber bereits zum Wanken. Ich formuliere sie aus vollem Herzen, und die Anderen interpretieren. Mal gut mal schlecht. Ich möchte Essen und kriege Nähe. Ich will Abenteuer und bekomme Milch und Honig. Ich wünsche Schlaf und bekomme Klang um Klänge. Ich spreche in die Fremde, fast wie in eine Leere. Eine Leere, die mir ein Echo spiegelt, mich verzerrt wiedergibt. Mich mir nimmt. Ich spreche zu der anderen Welt der Anderen, und sie fühlt mich als fremd und anders als die Anderen. Aber ich bin ja hier Zuhause, hieß es einmal. Und jetzt heißt es: Die Seelenlaute die ich mitbringe, die seien ja schön und auch gut. Aber wenn ich zu ihnen gehören wolle, dann müsse ich ihre Sprache sprechen, ihre Moral erlernen, ich müsse essen wie sie nach Hof und Art und die Engel vergessen. Ich müsse sie zurücklassen, die Vergangenheit, für die sie nicht zählen, für die sie nichts zählt. Alles lassen, hinter mir lassen und alles zeigen lassen. Die Anderen, sie zeigen ihre Welt, aber mir muss sie sich doch selber zeigen, meine eigene Welt. Wann zeigt sie sich mir ganz und ich mich ihr letztendlich gänzlich?
Die Welt zeigt mir ihr freundliches Antlitz in lichtblitzartigen Ausschnitten. In Augen, in denen sich meine Welt wahrhaft spiegelt. In Augen, die Zeit haben Brücken zu bauen. In den Momenten der Nähe, in denen mein Herz spürt, dass mich ein Anderer sieht und hört und wahrnimmt, mich erkennt und es liebt, das Ich, das ich bin. In jedem Klang, der mit einem Mal oder auf viele Male ein vertrauter geworden ist. In jeder Geste der Anderen, die sich deuten lässt und nicht mehr nur sinnloses Tun und Lassen ist, sondern Bedeutung trägt. In jedem Tasten in Verbundenheit. Wenn ich sie mit der Hand berühre, das erste mal bewusst berühre. Oder sie mich unsanft berührt und schmerzt und mir ihren harten Kern zeigt. Wenn ich der Welt den Bauch oder den Rücken zukehren kann, ganz nach meiner eigenen Wahl. Und wenn ich mich von ihr entfernen kann in der Streckung nach oben, aufrecht, den Kopf von ihr entferne und die Füße mich in ihren Halt sinken lassen, ganz tief. Dann kann ich fast denken, dass ich hier auch leben kann eines Tages, in dieser Welt. Was ich auf meine Art schon tue, seit ein paar Tagen schon.
Leonhard Flieger
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